Hier ein wenig Lippenaufpolsterung, da eine kleine Nasenkorrektur, dort etwas Hüftgold absaugen - zu keiner Zeit wurde die Perfektionierung des Körpers derart ins Strahlungsfeld der Ereignisse gerückt wie in der Gegenwart. Für Menschen mit geringem Selbstwertgefühl bleibt diese Entwicklung nicht folgenlos: Je größer der Unterschied zwischen propagiertem Ideal und Bewertung der eigenen Attraktivität, desto unzufriedener ist man mit seinem Erscheinungsbild.



Dass aber das Schönheitsideal im Laufe der Geschichte immer wieder neu definiert wurde, scheint fast in Vergessenheit geraten zu sein. Eine Stupsnase in der römisch-griechischen Antike? Nicht gerade der Inbegriff weiblicher und männlicher Anmut? Die knabenhafte Damen-Taille im Barock? Peter Paul Rubens hätte vermutlich nicht mal seine Staffelei aufgebaut. Sonnengebräunte Gesichter im viktorianischen Zeitalter? Schlichtweg undenkbar.



Heute gilt die schlanke Silhouette als wesentliches Merkmal einer attraktiven Optik. Auch im klassischen Altertum, insbesondere bei den Griechen, standen ausgewogene körperliche Proportionen stellvertretend für ein erstrebenswertes Schönheits-Ideal. Allerdings mit einem Unterschied: Ein schmalgliedriges, gertenschlankes Erscheinungsbild war mit der hellenistischen Forderung nach Harmonie von Körper und Geist nicht gemeint. Zwar hatten der Kopf und die weibliche Brust möglichst klein zu sein, mäßige Fettpolster waren aber erlaubt. Von Hippokrates ist überliefert, dass er sehr rundlichen Spartanern empfahl, überflüssige Pfunde durch "extreme Bewegungsübungen" kombiniert mit Fasten, zu Leibe zu rücken. Doch die gebräuchliche Redewendung spartanischer Lebensweise bezieht sich ihrem Ursprung nach ausschließlich auf die bescheidenen Behausungen der Einwohner der Stadt Sparta.




Schönheitsideal im Mittelalter Im Mittelalter war jegliches Augenmerk aufs Äußere verpönt.

Der christliche Glaube prägt das Weltbild im Mittelalter. Demgemäß ist nun jegliches Augenmerk auf Körperlichkeit verpönt. Die "edeliu schoene Frouwe reine", wie Walther von der Vogelweide das Frauenideal im 13. Jahrhundert in seinen Minneliedern umschrieb, sollte vor allem eines sein: ansehnlich, aber schmucklos. Mit einem zwölfteiligen Dossier über die Kosmetik und Pflege von Gesicht und Haaren verfasste der Gelehrte Gilbertus Anglicus ein für damalige Verhältnisse richtungsweisendes Werk - auf die Gegenwart des spätmittelalterlichen Alltags hatte dies jedoch keinen Einfluss: Schlicht und möglichst unauffällig hatte sich der Mensch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Anders das Zeitalter der Renaissance: Sämtliche Normen und Werte des Mittelalters kamen auf den Prüfstand. Das blieb nicht folgenlos: In der Kunst ist endlich wieder die Darstellung unverhüllter Körper erlaubt. Arme und Beine sollten möglichst grazil sein, Bauch, Gesäß und Taille durften hingegen deutliche Rundungen aufweisen. Ein porzellanfarbener Teint galt zunehmend als Ausdruck besonderer Anmut. Wen die Natur nicht mit ausgeprägter Hellhäutigkeit ausgestattet hatte, der konnte mit einer Paste aus Bleiweiß und Quecksilberverbindungen nachhelfen. Zwar rieten Zeitzeugen wie der Humanist L. B. Alberti vor der Anwendung der giftigen Schwermetallpomade ab, doch die Warnungen wurden besonders in Adelskreisen in den Wind geschrieben.




Schönheitsideal in der Renaissance Die Adlige Lucrezia Panciatichi galt als typische Schönheit im Zeitalter der italienischen Renaissance.

Dass im Barock der Übergang von der wohlgenährten zur korpulenten Figur fließend war, ist hinlänglich bekannt. Heutige Begriffe wie"Rubensfigur" oder"barocke Lebensart" scheinen eine genussbetonte und ausschweifende Lebensart zwischen 1600 und 172 0 zu beleuchten. Wohlgenährte Körper in Hülle und Fülle? Der Schein trügt. Denn im bekleideten Zustand hatten Frauen tunlichst jedes Gramm Fett zu kaschieren. Das Korsett erzeugt jetzt eine künstliche Wespentaille. Auch das in der bildenden Kunst postulierte Ideal vom wallenden, gekräuselten oder gelockten Haar durften Frauen außerhalb des Schlafgemachs nicht ohne weiteres verwirklichen. In der Öffentlichkeit hatte die Haartracht gebändigt, gescheitelt und zurückgekämmt zu sein. Ähnlich im Rokoko: Als schön und gepflegt galt das weibliche Geschlecht erst, wenn die Haare aufgesteckt und möglichst gepudert sowie mit Schleifen, Blumen und Schmuck verziert waren. Männer zeigten besonderes Stilgefühl, indem sie stets eine Perücke trugen. Bei den Männern löst jetzt ein künstlicher Haarbeutel die lange Lockenpracht aus dem Spätbarock ab, dessen seitlich befestigte Locken Wangen und Kinn umspielten. Hoch toupierte Haargebilde sind bei den Damen jetzt groß in Mode. Doch gegen Ende des Rokoko-Zeitalters, also zur Zeit Ludwig XVI., wachsen die Frisuren auf geradezu groteske Art und Weise in die Höhe. Der Bequemlichkeit halber greifen nun auch die Frauen zur Perücke. Anmutig und gesellschaftsfähig ist, wer eine bleiche Haut, mit Rouge gerötete Wangen und kohlengeschwärzte Augenbrauen zu Markte trägt. Die Tatsache, dass heiße Bäder nun als gesundheitsschädlich gelten, schafft die Grundlage für eine recht eigentümliche Vorstellung von Körperhygiene: Wozu sich waschen, wenn es doch Parfums gibt, hätte das damalige Motto lauten können. Hüllen sich doch Männer und Frauen nun zu jedem erdenklichen Anlass in eine großzügige Duftwolke - mit durchaus praktischem Nebeneffekt: unangenehme Körperausdünstungen werden einfach übertüncht.




Schönheitsideal im Barock Die drei Grazien von Peter Paul Rubens sind ein Sinnbild für barocke Lebensart im unbekleideten Zustand. Denn in Gesellschaft hatten die Damen im Barock tunlichst jedes Gramm Fett zu kaschieren.

Im Klassizismus wird das Schönheitsideal aus der Antike wiederbelebt: Hochmodern ist - wie einst bei den Römern - eine über den Hüftbereich verschobene Taille. Ein rosiges Gesicht und möglichst ausdruckvolle, jedoch kaum geschminkte Augen waren Ausdruck von besonderer Anmut. Natürlichkeit ist Trumpf. Im 20. Jahrhundert vollzieht sich der Wandel von Schönheitsidealen immer schneller. Das Korsett wird zum lästigen Relikt vergangener Zeiten erklärt. Das bedeutete aber auch: Was das Mieder an überflüssigen Pfunden verbarg, musste nun am Körper selbst abgespeckt werden. Zwar galt noch um 1910 ein stattlicher Brustumfang als begehrenswert und schön, doch bereits zu Beginn der 20er Jahre änderte sich das Erscheinungsbild grundlegend. Die Haare wurden nicht mehr hochgesteckt, sondern möglichst in weichen Wellen auf Kinnlänge getragen. Ein kleiner Kopf, möglichst große Augen und ein voller, geschminkter Mund fungieren nun als Sinnbild weiblicher Schönheit.




Schönheitsideal der 20er Jahre Ein kleiner Kopf, ausdrucksvolle Augen und wellige, auf Kinnhöhe getragene Haare galten in den 20er Jahren als schön.

Blond, blauäugig und möglichst athletisch gestählt, lautete die Definition des Schönheitsbegriffs in der NS-Zeit. Was als arisch und demnach schön im Sinne des nationalsozialistischen Terrorregimes galt, wurde genauestens vermessen: Körperbau, Schädelgröße, Stirn, Wangenknochen und Augenhöhlen hatten keine auffälligen Merkmale aufzuweisen. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren rundliche Formen bei Männern und Frauen gleichermaßen hoch im Kurs. Denn eine vollschlanke Figur ließ in der entbehrungsreichen Zeit auf Gesundheit und Wohlstand schließen. Grace Kelly, Gina Lollobrigida und Sophia Loren standen in den 50er Jahren für ein durchaus vielfältiges Schönheitsideal, das ebenso weibliche Rundungen idealisierte. Davon unbeeindruckt und ziemlich unerschrocken zeigte sich Maria Callas hinsichtlich der Verwirklichung ihrer Traumfigur: Um schnellstmöglich abzunehmen, ließ sie sich einen Bandwurm einsetzen.



Marilyn Monroe trug Konfektionsgröße 42, ein für die 50er und frühen 60er Jahre durchschnittliches Maß - bis das britische Model Twiggy die öffentliche Bühne betrat. Knochig, hager und flachbusig hieß nun die Schönheits-Devise. Die Lippen wurden mattiert, die Form der Augen betonten Frauen jetzt großzügig mit flüssigem Eyeliner. Auch in den 70er Jahren galten möglichst ausdrucksstark geschminkte Augen nicht nur als modern, sondern auch als besonders begehrenswert. Zudem lagen eine schmale Taille und eine voluminöse Haarpracht voll im Trend. Als Dekade dekorativer Kosmetik - so präsentierten sich zweifelsohne die 80er.




Sophia Loren - Schönheitsideal der 50er Jahre

Schön warjetzt, wer symmetrischen Gesichtszügen mit Rouge, intensivem Augen-Make-up und farbintensivem Lipgloss Ausdruck verlieh. Die schmale Taille, eine größere Oberweite und Schulterpolster waren in Sachen modisches Erscheinungsbild das Tüpfelchen auf dem"i".



Doch spätestens als Modemacher und Medien in den 90ern den"Magersucht-Schick" einer Kate Moss priesen, wurde klar: Der sich übers Schlanksein definierende Begriff von Schönheit hatte ein Stadium erreicht, das nicht nur gesundheitsschädigend war, sondern auch eine Diskussion um den weiblichen Schlankheitswahn im Allgemeinen neu aufflammen ließ.



Heute muss die Entfernung von Rippen, oder das Einsetzen von Silikonkissen für denjenigen, der das nötige Kleingeld hat, kein Wunschtraum mehr sein. Und: Dass die Jugend heute nicht mehr komplexbeladen, sondern sehr selbstbewusst den Gang zum Schönheitschirurgen wählt, berichtet Dr. Detlef Witzel, Arzt für ästhetisch-plastische Chirurgie, auf den folgenden Seiten. Dennoch darf die Frage erlaubt sein: Wie steht es tatsächlich um das Selbstbewusstsein junger Leute auf dem OP-Tisch, wenn man hinter die Fassade souveränen Auftretens schaut?




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