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Wenn
aus Heiko Heike wird
Von Uschi Neuhauser mit Fotos von Katrin Neuhauser und Volker Wenzlawski
Die
Mutter
"Tolle Beine", sagt die Mutter und beugt sich über
die Fotos einer Frau im knappen Lack- und Leder-Mieder. "Das
ist jetzt mein Leben, Mama" sagt der Sohn sanft. Die Mutter
versteht nicht. "Du magst also Sado-Maso-Frauen?" "Nein,
Mama. Die Frau bin ich. Ich bin Transvestit. Und ich steh' dazu."
Ungläubig
nimmt die Mutter ein Bild nach dem anderen hoch. "Heiko, ich
erkenne dich nicht", sagt sie. Sie sieht sich die Bilder immer
wieder an und sagt langsam: "Ich sehe eine Frau mit glücklichen
Augen. Aber - wo bist du?"
Die
Freundin
Ihr, mit der er fünf Jahre zusammengelebt hat, mag er "es"
nur faxen. "Du willst also tatsächlich alles wissen?"
schreibt er. "Ich bin ... - ich hasse dieses Wort, und es fällt
mir schwer, es hinzuschreiben - also, ich bin ein Transvestit. Was
auch immer du davon hältst, tu mir den Gefallen: leg die Federboas
und Glitzerkleider, die verrutschten Perücken und irgendwelche
auf abknickenden Absätzen durch die Gegend eiernden Personen
aus dem Kopf." Ein Blatt nach dem anderen rattert aus Katrins
Faxgerät. "Es hat nichts mit dem Wunsch zu tun, eine Frau
sein zu wollen. Es hat einen ganz besonderen einzigartigen Reiz
- rein sexuell. Komm bitte nicht auf die Idee anzurufen, so nach
dem Motto, Heiko, zieh den Fummel an, ich will das mal sehen."
Katrin antwortet nur mit einem Satz: "Welchen Mascara verwendest
du?" Und ist erleichtert, weil sie endlich, zwei Monate nach
der Trennung, eine Erklärung bekommt, warum er ihr damals aus
heiterem Himmel gesagt hat: "Ich halte es nicht länger
aus. Ich liebe dich nicht mehr."
Der
Freund
Heiko schiebt die Fotos über den Tisch: "Guck mal hier,
wer ist das?" Freund Volker muss nicht lange überlegen:
"Das bist du." Und lacht: "Das ist es also? Du bist
ein Transvestit? Und ich hab' schon befürchtet, du gestehst
mir jetzt, du stiehlst deutsche Schäferhunde."
Der
Vater
"Was ist denn das für ein Umschlag?" fragt der Vater.
Heiko holt die Fotos heraus. Zehn Sekunden Stille.
"Bist
du das?"
Heikos
Stimme zittert: "Ja."
"Sieht
klasse aus." Und: "Wart einen Augenblick."
Der
Vater steht auf, geht ins Schlafzimmer. Eine Schranktür quietscht.
Er kommt zurück und hält einen weißen Schuhkarton
in Händen. "Also, ich mach' das jetzt nicht auf. Ich will
dir nur sagen, ich trage manchmal auch ganz gern Strapse und Strümpfe."
Die
Autofahrt zurück nach Hamburg verbringt der Sohn mit nicht
enden wollendem Gelächter.
Das
war's also? Dafür hat er, Heiko H., Journalist, 37, jahrzehntelang
gelitten, war sauer auf alles und jeden, "weil ich dachte,
die ganze Welt hindert mich daran, meine Neigungen auszuleben"?
Hat sich eingebildet, mit niemanden darüber reden zu können,
war gelähmt von dieser Fliehkraft in ihm, die jede echte Emotion,
jedes Engagement beiseite schob.
Alles
hat Heiko leichter eingestanden: Ich bin schwul. Ich bin transsexuell,
weil ich psychisch eine Frau bin. Ich bin Exhibitionist. Ich besitze
die goldene Mitgliedskarte zu einem Sado-Maso-Club.
Das
wären klare Zuordnungen gewesen. Für Transvestiten aber
gibt es keine Schublade: Weil sie letztendlich Männer sind,
die auch Männer bleiben wollen, wird der unbezähmbare
Drang, "sich die Frau zu machen", ständig vom dumpfen
"Es gehört sich nicht"-Gefühl begleitet. So
lustvoll die Onanie im Minirock sein mag, Heiko hatte immer das
Gefühl: "Ich mache mich klein. Männer in Frauenklamotten
sind bedauernswert wie kleine Jungs, die die blümchenverzierte
Jeans ihrer Schwester auftragen müssen."
Und
nun reagieren die für ihn wichtigen Menschen, die Mutter, die
Ex-Freundin, der beste Freund, auf sein Geständnis mit einem
beinahe liebevollen "Na und?" Vater und Sohn haben sich
offensichtlich gar jahrzehntelang am Kleiderschrank der Mutter abgewechselt,
ohne voneinander zu wissen. Die Mutter übt sich in augenzwinkender
Toleranz. "Ist doch schön, dass du kein Einzelkind mehr
bist, sondern eine Schwester hast."
Keiner
weiß wie viele Transvestiten es in Deutschland gibt. Nur eine
winzige Minderheit traut sich vom Wäscheschrank raus vor die
Tür. Sexualforscher vermuten, dass jeder zehnte Mann irgendwann
in seinem Leben in Frauenklamotten schlüpft. Meist aus Lust,
manchmal aus Einsamkeit oder Partnerschaftsfrust. Wenn der Tick
zur fixen Idee wird wie bei Heiko und er sich immer öfter als
krank, abnorm einstuft, ist irgendwann die große Sinn- und
Lebenskrise da. Und die Verkleidungs-Quickies werden immer absurder.
Heiko
vergleicht das mit dem Drang aufs Klo zu müssen und nicht zu
dürfen. "Dann rennst du um die Ecke und pinkelst. Leider
kommt nach drei Sekunden jemand und sagt: Schluss jetzt. Für
den ersten Moment glaubst du, dich etwas erleichtert zu haben. Nur
ist der Druck schnell wieder da. Irgendwann kannst du an nichts
anderes mehr denken: pinkeln, koste es, was es wolle." Das
ist dann der Moment, wo alles egal ist. Wo Mann rausstöckelt
mit dem sicheren Gefühl, Spottobjekt für Normalbürger
zu sein.
Jeden
Samstag um 21 Uhr treffen sich zehn bis 20 Crossdresser, die englische
Bezeichnung für Transvestiten, zum Stammtisch "Bei Franz",
einer Schwulen-Kneipe am Hamburger Steindamm. Unschwer zu erkennen
die Neulinge: Von Kopf bis Fuß eine Geschmackskatastrophe.
Verwirrt stehen sie am Eingang und überlegen, wie sie unbesehen
nach hinten in die Stammtischecke kommen. Manchmal steht auch ein
richtiger Kerl in der Tür mit allen Macker-Attributen versehen:
Bart, Tätowierungen, Bodybuilderfigur. Dass er aber tief im
Herzen "femme" fühlt, verrät die Sporttasche
in seiner Hand.
Heiko,
einer der Stammtischgründer, und andere geübte Stammtischschwestern
werden ihn nach hinten begleiten. Auf der Toilette werden sie ihm
helfen, aus den Schühchen und Strümpfchen, dem Haarteil
und mit kräftig Farbe von der Schminkpalette ein Superweib
zu formen.
Es
fällt nicht immer leicht, ernst zu bleiben, wenn man die "Mädels"
beobachtet. Sie sind gar nicht glamourös wie die Drag Queens
auf der Bühne, ihre Profi-Schwestern aus der Schwulenszene.
Was eine Hommage an die Frau sein soll - Transvestiten verehren
Frauen -, wird oft zum Zerrbild eines feuchten Männertraums:
wasserstoffblonde Wallehaarperücke, Kräuselbrusthaar über
verrutschten Silikon-Bomben im Lurex-Top, schockpinker Stretchmini,
dazu quietschrote Wackel-High-Heels.
Heiko
unterscheidet sich von den anderen. Ist nicht mehr sein eigenes
aufgedonnertes Lustobjekt. "Ich will allmählich weniger
ballaballa aussehen, dafür echter werden." Heiko und Heike
sollen zusammenfinden, "aus dem Durcheinander soll wieder ein
Mensch werden."
Seit
Heiko sich nicht mehr versteckt, sich auch mal als Heike ins Kaffeehaus
setzt, ist die rein sexuelle Illusions-Perfektionierung gewichen.
Seine Heike trägt keine aufgedonnerte Perücke mehr, sie
gefällt sich mit halblangem Pagenkopf, dezentem Make-up, mit
Rock und Blazer in gedeckten Farben. Jeder Stammtischschwester sieht
man an, dass sie sich stundenlang für diesen Abend geschminkt
und aufgerüscht hat. Und der Lohn für diese Müh?
Sollten das nicht bewundernde Blicke sein? Die aber nur zu ergattern
wären, wenn die Damen den Mumm hätten, den Tisch vorne
am Fenster als ihren Treffpunkt zu wählen?
Da
sitzen sie nun "Bei Franz". Heißen Desiree statt
Thomas, Hanna statt Hans, Claudia statt Klaus. Wie bei Brigitte-TV
tauschen sie Schminktipps aus. "Kryolan musst du nehmen, das
deckt den stärksten Bartschatten ab." Oder: "Bei
Quelle' kriegst du Spitzentopps bis Größe 52."
Sie organisieren Trips zu Transvestiten-Klubs nach Berlin, Frankfurt
und Köln, wo sie in der sicheren Ferne mal so richtig die Frau
rauslassen können.
Heike
und die anderen Hobby-Frauen sind im Alltag "echte" Männer,
die nach außen ein ganz normales Leben führen. Mit Lebensgefährtin
und Kindern und oft betont "männlichen" Berufen.
Da ist Willi, der Schlachter. Chris, der Ingenieur. Der Bundeswehr-Major,
dessen Frau seit Jahren fragt, weshalb er sich die Beine rasiert.
Sie sind überwiegend heterosexuell, entwickeln allerdings in
der Verkleidung bisexuelle Neigungen und flirten auch untereinander
mit mehr oder weniger heftigem Ausgang.
Sie
genießen die ganze Bandbreite: mit Frau verschmelzen, lesbisch
sein, von einem Mann erobert werden, sich heterosexuell fühlen,
mit einer Transsexuellen ein ständig wechselndes Rollenspiel
durchleben. Michael, Kieler Promi-Psychotherapeut, schwärmt,
wie erregend es sei, sich als Michèle "dem sensibilisierten
Hautgefühl einer Frau" hinzugeben und dass die Sinnlichkeit
am größten sei, "wenn die Erektion am geringsten
ist".
Die
meisten kommen heimlich zu Stammtisch, haben bis heute zu Hause
nichts erzählt, andere haben Frauen, die "es" akzeptieren.
Hanna, die 1,95-Meter-Walküre, im wirklichen Leben Diplompädagoge
Hans, will mehr als nur geduldet werden und sehnt sich nach experimentierfreudigen
Verkleidungsspielen mit der Ehefrau. Die wiederum mag sich an die
schwindende männliche Energie beim Sex nur ungern gewöhnen.
Und so nimmt die Geheimnistuerei von neuem ihren Lauf, wenn Hans
sich heimlich im schmuddeligen Sex-Kino mit Gesinnungsgenossen austobt.
Auch
Heiko ist in diesem Kino verschwunden, als Sex mit seiner Freundin
für ihn zur Pflichterfüllung wurde. "Ich habe versucht,
so viel Mann wie möglich zu sein, und hab mich ständig
in meinen Bedürfnissen zurückgenommen." Heute weiß
er, was er wirklich mag, wenn er mit einer Frau im Bett ist: "Auch
passiv sein. Genießen. Ein Wechselspiel zulassen."
Stammtischthema
Nummer zwei, gleich nach den Partnerproblemen, ist der Kummer übers
Älterwerden. Darüber jammern vor allem die Spätberufenen.
Warum tut man sich das alles an, wenn man doch nicht schön
wie die Schiffer sein kann, mit langen Beinen, Supertaille und Superbusen?
Depressionen? Im Kopf der schöne Traum, im Spiegel die Krähenfüße.
Selbst
Heiko, einer der Jüngsten, stürzt sich auf jede Faltencreme,
isst kaum und raucht wie ein Schlot, damit er "die Figur behält".
Wer
genau hinguckt, wird unter diesen Schönen der Nacht Magdalena
entdecken. Biologisch und psychisch echt Frau. Beamtenwitwe, Jahrgang
41, eine gut erhaltene Blondine im kleinen Schwarzen, die man eher
beim Schwof mit kecken Mittfünfzigern im Café Keese
vermuten würde. Aber genau um diese Normal-Männer, "groß,
breit, stark", hat Magdalena ihr Leben lang einen Bogen gemacht.
Das liegt an ihrem Vater, der "jähzornig, ungerecht und
gewalttätig" war. Sie sucht in dieser Runde "den
Mann mit stark femininen Anteilen". Manchmal landet einer bei
ihr im Vorstadt-Haus. Dort näht sie ihm BH-Körbchen, fotografiert
ihn vorm Kaminfeuer und gibt ihm die Bewunderung, nach der er sich
immer schon verzehrt hat. "Bei mir wird jeder zur Frau. Weich
und liebenswert." Selbst Heiko, der ihr beim Stammtisch noch
immer zu kerlig ist: "Wenn jemand Michèle schief anguckt
und ihr sagt, du hast einen dicken Hintern, bekommt sie einen wunderbaren
Nervenzusammenbruch. Wenn jemand Heike dumm kommt, kriegt er garantiert
eine auf die Rübe."
Eine
Kleinstadt in Dithmarschen. Hier ist Heiko H. aufgewachsen. Er zeigt
sein Elternhaus, die scharfe Kurve in der Straße, wo er sich
mit dem Go-Kart überschlagen hat. Er zeigt die Schule, den
Marktplatz. "Muss man hier nicht bunt werden, wenn rundherum
alles so grau ist?" fragt er. Aber warum muss man hier zur
Frau werden? Was fehlt ihm denn zum Mannsein?
Heiko
kann nur Mosaiksteine anbieten, die vielleicht ein Bild ergeben.
Eine Szene, als das Kind Heiko dem Vater einen Gutenachtkuss geben
wollte und zurückgewiesen wurde. Heiko im Kreis seiner Spielkameraden
beim Verkleidungsspiel. Plötzlich finden es alle langweilig,
stürmen zum Bolzplatz, nur Heiko bleibt zurück, dreht
sich versonnen in Mutters Unterrock. Der jugendliche Heiko, der
mit Kajal die Augen umrandete und den Mädchen "so süß"
fanden, weil er sanft und schüchtern war. Im Wäldchen
vor der Stadt hat er als Teenie Klamottendepots mit Miniröcken,
Strumpfhosen (für zwei Mark vom Aldi) und Pumps angelegt. "Es
war geil. Keine Frau kann sich vorstellen, was für ein Gefühl
das ist, als Mann einen Rock anzuziehen" Hat denn nie jemand
was gemerkt?
Die
Mutter
"Heiko war ein ganz normaler Junge. Er war weich und etwas
ängstlich, hat mit Jungs gespielt, später Freundinnen
gehabt. Er hat sich immer für Autos interessiert. Als er mit
Katrin Schluss gemacht hat, habe ich ihn gefragt, ob er vielleicht
einen Freund hat."
Die
Freundin
"Dass Heiko sich im Gegensatz zu vielen Männern gern pflegt,
ist angenehm und nicht unnormal. Dass er von Jil Sander die Intensive
Moisture Complex Creme benutzt, hat mich nicht gestört, er
bekam dadurch eine angenehm weiche Haut. Am Anfang unserer Beziehung
hat mich Heiko mal gefragt, ob ich lesbisch sei. Heute weiß
ich, dass er gehofft hat, wenn ich ihm was gestehe, kann er mir
auch seine Fummel-Leidenschaft bekennen."
Der
Freund
"Gemerkt? Nein. Aber vielleicht bin ich zu dickfellig. Ich
habe gespürt, irgendwas an der Person bleibt mir verborgen.
Sein schnelles Beleidigtsein, seine Berührungsängste.
Er ist kein Männermann, obwohl er männliche Attribute
hat. Er raucht wie ein Schlot. Trinkt ganz gern. Mag Autos."
Der
Vater
"Er hat sich in der Gesellschaft von Frauen immer wohler gefühlt.
Als ich mal wollte, dass er mir beim Dachreparieren hilft, ist er
in Tränen ausgebrochen, weil er Angst hatte. Es hat mich gestört,
dass er als Junge eine Ohrring trug. Ich hab' ihm gesagt. So kommst
du mir nicht ins Auto."
Wieder
ein Samstagnachmittag. Heiko schließt den viel kleineren der
beiden Schränke und öffnet die Wunderwelt für Heike.
Kaufrausch pur: 36 Paar Schuhe, keines unter 200 Mark. Von Leopardensandaletten,
Stiletto-Pumps bis zu Lack- und Lederstiefeln. Ein Dutzend Blazer
hängen in Reih und Glied, 30 Minis, Topps in Samt und Lycra.
Aus der Hutablage quellen Perücken in Schwarz, Blond, Rot.
"Jugendsünden", murmelt Heiko. Ziemlich erwachsen
wirken jedoch die Silikoneinlagen. Cup C. Das Paar für 400
Mark.
Man
kann zusehen, wie während der stundenlangen Schminkprozedur
- das Bad ist voll mit Lippenstiften, Nagellacken, Make-up-Tuben
- Heiko den Macker ablegt und in Heike übergeht. Nach der dritten
Creme-Schicht ist der Bartschatten kaum mehr zu sehen. Heike tupft
aubergine-farbenen Lidschatten auf. "Es ist ein bisschen wie
Malen nach Zahlen", lacht sie. "Wir basteln uns ein Kunstwerk,
das nicht immer gelingt." Und leider nicht ewig hält.
Acht bis neun Stunden höchstens. In heißen Sommernächten
rinnt die Soße bedeutend früher. Was dann?
"Dann",
seufzt Heike lächelnd, "muss Cinderella den Ball verlassen
und läuft husch, husch nach Hause."
aus:
Stern 43/98
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